Ich schlage die Augen auf. Wir liegen im Halbdunkel.
Die Leinenvorhänge dämpfen das helle Licht der Sonne, die jetzt, Mitte Juli, nur vor Kraft strotzt. Ich strecke mich, will ihn berühren, will seine Nähe, doch er hat mir den Rücken zugedreht. Liegt am anderen Ende des Bettes. Es ist, als hätte er absichtlich eine Wand zwischen uns gebaut. Er ist so weit von mir entfernt.
Ich fühle mich unwohl. Ich lege eine Hand auf meinen Bauch. Kneife die Augen zusammen. Versuche, die Erinnerung an das, was ich gestern Abend erfahren habe, mit aller Kraft wegzuschieben. Verschließe eine innere Tür.
Schnell stehe ich auf, um uns Kaffee zu machen. Während die Filtermaschine läuft, trinke ich ein Glas warmes Wasser. Stelle ihm eine Tasse Kaffee neben das Bett. Als er die Augen aufblinzelt, wach wird, finde ich ihn für einen kurzen Moment so abstoßend, dass ich die Luft anhalten muss. Schnell verlasse ich das Schlafzimmer, rufe ihm dabei zu, dass es schon halb 9 ist, und wir losmüssen. Sein Handywecker klingelt laut. Nachdem er geduscht hat, verlassen wir gemeinsam das Haus. Er an diesem heißen Julimorgen in Hemd und Chino, ich im neuen Set von Lululemon. Meine Haare habe ich zum lockeren Zopf geflochten.
Im Pilatesstudio beäuge ich mich kritisch im Spiegel, der die ganze Wand einnimmt. Meine Arme könnten straffer sein. Heute morgen hat die Waage zwar angezeigt, dass ich zwei Kilo verloren habe, aber dafür finde ich meine Brüste jetzt zu flach. Meine Freundin Sophie hat sich letzten Winter die Brüste machen lassen, vielleicht frage ich sie später nach ihrer Meinung. Meine Mutter sagte mal zur mir, dass sich eine Frau ab dreißig entscheiden muss: Gesicht oder Arsch. Ich verstehe jetzt, was sie meint. Wenn ich dünn bin, ist mein Gesicht schmal und blass, und ich sehe älter aus. Und meine Brüste sehen aus wie Luftballons, aus denen man zu viel Luft gelassen hat. Wiege ich dagegen mehr, bekommt mein Hintern eine komische Form. Während des Trainings läuft mir der Schweiß von der Stirn.
Später arbeite ich aus dem Homeoffice. Es ist heiß in der Wohnung.
Abends mache ich Quinoa Salat mit Avocado. Esse ihn vor dem Fernseher. Ich fühle mich alleine. Ich überlege, ob ich ihm schreibe und frage, wann er nachhause kommt. Aber ich weiß, wenn er noch arbeitet, wird er nicht antworten. Außerdem will ich nicht, dass er sich unter Druck gesetzt fühlt. Oder mich für verzweifelt hält. Bin ich verzweifelt?
Als ich keine Lust mehr habe, fernzusehen, gehe ich ins Bad. Decke einen Pickel ab, der auf meinem Kinn spriest. Bürste meine Haare und entdecke, dass zwei Strähnen nicht richtig glatt sind. Ich stecke das Glätteisen ein und ziehe mein Haar durch die heißen Platten.
Irgendwann, gegen halb 9, schließt er die Tür auf. Er hat eine Flasche Wein in der Hand. Wortlos stehe ich auf, hole zwei Weingläser, stelle ihm eine Schüssel mit dem Quinoa Salat hin.
Ich frage ihn, wie sein Tag war. Aber er will nicht reden. Er fragt mich nichts.
Ich fühle mich, als ob ich auf offenem Meer treiben würde, auf dem Rücken, die Augen halb geschlossen. Aber die Stille trügt. Ich weiß, unter mir kreisen unbekannte Seebewohner. Ich habe Angst, mit einer Bewegung ihren Angriff zu provozieren. Also bin ich ganz still. Treibe dahin. Aber während die Sonne, die zu weit weg ist um, mir noch Wärme zu spenden, scheint, frage ich mich, wie lange ich noch so starr und unbewegt bleiben kann. Ich wusste nicht, das Stillhalten so viel Kraft kosten kann.
Ich giere nach seiner Nähe. Nach zwei Gläsern Wein, als er fertig gegessen hat, setze ich mich auf seinen Schoß. So kann er mich nicht ignorieren. Ziehe ihn zu mir heran. Er leistet keinen Widerstand. Wir beginnen auf der Couch und enden im Bett. Für einen kurzen Moment fühlt es sich nach Nähe an. Ich lege meinen Kopf auf seine Brust, schließe meine Arme um ihn.
Ein paar Momente später steht er auf und geht ins Bad. Während wir uns bettfertig machen, erzähle ich ihm, dass ich heute nach dem Pilates im Briefkasten eine Einladung zur Hochzeit gefunden habe. Von einer Freundin aus der Universität. Sie wird nächsten Sommer heiraten, die Feier wird auf einem Weingut in der Toskana stattfinden. Auf dem Foto steht ihr Verlobter hinter ihr und legt beide Arme um sie. Sie sieht glücklich aus. Ich frage mich, ob ich jemals eine Einladung zu meiner Hochzeit verschicken werde.
Während er duscht, leuchtet sein Iphone mehrfach auf. Der Screen zeigt den Eingang von Nachrichten an. Ich schaue weg, verlasse das Bad, ziehe die Vorhänge zu, wickle mich in die noch warmen Bettlaken. Tränen laufen über mein Gesicht. Heute kann ich sie nicht zurückhalten. Ich nehme ein weiteres Kissen und lege es auf mein Gesicht. Für einen kurzen Moment überdeckt das Gefühl, keine Luft zu bekommen, den Schmerz, den die unbekannten Seebewohner aus der Tiefe auslösen. Sie haben mich endlich.
Irgendwann kommt er aus dem Bad, nur in Boxershorts, die Haare noch feucht von der Dusche. Er legt sein Iphone neben das Bett. „Ich liebe Dich“, flüstert er in die Dunkelheit. Ein kleiner Teil von mir versucht angestrengt, zu glauben, dass er es ernst meint. Ich schließe die Augen. Die Seeungeheuer in mir brüllen.